Kinder und Jugendliche stehen heute vor Herausforderungen, die frühere Generationen kaum gekannt haben. Die Pandemie, der Klimawandel, Kriegsängste und wirtschaftliche Bedrohungen prägen ihre Lebensrealität und erhöhen den Druck auf junge Menschen. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg psychischer Belastungen: Depressionen, Angststörungen und Verhaltensauffälligkeiten nehmen in einem Maße zu, das Kinder- und Jugendpsychiatrien vor Überlastung stellt. Die Frage, wie wir diesen Druck abfangen und jungen Menschen die nötige Resilienz vermitteln können, muss im Zentrum unseres gesellschaftlichen Denkens stehen.
Wenn der familiäre Schutz brüchig wird
Für die emotionale und seelische Stabilität ist die Familie das zentrale Umfeld – doch was, wenn Eltern selbst unter psychischen Erkrankungen leiden? Die emotionale Nähe zu Eltern bleibt für Kinder die wichtigste Quelle für Schutz und Sicherheit. Ist diese Bindung jedoch von der psychischen Belastung der Eltern geprägt, kann das Vertrauen ins Leben erschüttert werden. Ein Kind, das immer wieder erlebt, wie sich die Stimmung der Eltern sprunghaft ändert oder diese kaum ansprechbar sind, versucht oft, dies zu deuten und macht sich insgeheim selbst Vorwürfe. Häufig entwickeln Kinder dann Verhaltensweisen, die ihre eigene Psyche belasten, um doch noch Aufmerksamkeit und Bestätigung von den Eltern zu bekommen. Hier ist es unerlässlich, einfühlsam und frühzeitig mit den Kindern zu sprechen, um ihnen die emotionale Last zu nehmen.
Der Impuls vieler Eltern, eigene psychische Probleme vor Kindern zu verbergen, mag aus gutem Willen entspringen, doch verkennt er die Empfänglichkeit der Kleinen: Kinder haben feine Antennen und erkennen schnell, wenn etwas nicht stimmt. Ein offenes Gespräch über Belastungen, das Hoffnung und eine Aussicht auf Besserung vermittelt, kann Kindern helfen, nicht in eine ohnmächtige Sorge abzurutschen. Sie lernen so, dass Herausforderungen zum Leben gehören und bewältigt werden können.
Resilienz ist kein Zufall – sie ist das Ergebnis sicherer Bindungen
Resilienz, die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen, ist kein angeborenes Talent, sondern entwickelt sich aus stabilen Bindungen und positiven Vorbildern. Ein Kind, das ein verlässliches Umfeld erlebt, lernt mit jedem kleinen Rückschlag, dass es für Probleme eine Lösung gibt. Es sind alltägliche Gesten – ein kurzer Moment der Aufmerksamkeit, eine ermutigende Bestätigung oder das beruhigende Gefühl, dass jemand da ist –, die ein inneres Schutzschild aufbauen. Dieser Zusammenhalt ist die Basis für spätere Krisenfestigkeit.
In unsicheren Zeiten sind stabile Bezugspersonen in Familien und Bildungseinrichtungen unabdingbar, um Resilienz zu fördern. Sie dienen als Vorbilder für den Umgang mit Stress und Belastungen. Kinder lernen, wie man die Nerven behält, wie man Konflikte angeht und wie man auch in herausfordernden Momenten Handlungsspielraum und Hoffnung bewahrt. Fehlt jedoch dieser familiäre Rückhalt, etwa durch die psychische Belastung der Eltern, oder wird der Alltag durch andauernde Krisen belastet, drohen Kinder und Jugendliche schneller in Passivität und Ohnmacht zu verfallen – und damit psychisch zu erkranken.
Ein gesellschaftlicher Auftrag zur Fürsorge und Prävention
Krisen sind kein Fremdkörper im Leben, und dennoch bedarf es eines stabilen gesellschaftlichen Fundaments, um diesen entgegenzutreten. Wir sollten unsere Jugend nicht auf ein nebulöses Prinzip der Resilienz vertrösten, ohne sie in diese Stärke hineinwachsen zu lassen. Resilienz verlangt Strukturen, die Kindern und Jugendlichen Halt geben, etwa präventive Angebote in Schulen, therapeutische Unterstützung für Familien oder Zugang zu Anlaufstellen, an die sich Kinder frühzeitig und niedrigschwellig wenden können. Hier haben andere Länder bereits vorbildliche Modelle geschaffen: Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, direkt in Einkaufszentren oder Stadtvierteln integriert, ermöglichen es jungen Menschen, ohne Barrieren professionelle Hilfe zu finden.
In Deutschland und der Schweiz ist die Nachfrage nach Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche zuletzt dramatisch gestiegen, doch oft müssen diese jungen Menschen lange auf Hilfe warten. Neben einer dringenden Aufstockung solcher Ressourcen ist auch eine gesellschaftliche Enttabuisierung psychischer Erkrankungen notwendig: Seelische Belastungen sollten nicht länger im Verborgenen gehalten werden. Kinder und Jugendliche müssen erfahren, dass es keine Schwäche ist, Hilfe zu suchen und dass psychische Gesundheit genauso wichtig ist wie die körperliche.
Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist kein Randthema. Sie spiegelt den Zustand unserer Gesellschaft und ihre Fähigkeit zur Fürsorge wider. Das Wohl junger Menschen ist mehr als eine private Aufgabe – es ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das präventive, niedrigschwellige Angebote und eine integrative Unterstützung für Familien erfordert. Resilienz ist keine Pflicht, sie ist ein Geschenk, das wir als Gesellschaft gemeinsam schenken müssen.