Eva Reininghaus: Wie prägen bipolar erkrankte Eltern den Alltag ihrer Kinder? Eva Reininghaus: Wie prägen bipolar erkrankte Eltern den Alltag ihrer Kinder?

Eva Reininghaus: Wie prägen bipolar erkrankte Eltern den Alltag ihrer Kinder?

Zwischen Liebe und Last: Wie Kinder bipolar erkrankter Eltern ihre Rolle neu finden müssen

Für viele Kinder und Jugendliche ist die Bipolare Störung ihrer Eltern eine kaum greifbare Realität, die zwischen stillen Tälern und hektischen Höhen hin und her schwankt. Die bipolare Störung – auch als manisch-depressive Erkrankung bekannt – stellt eine der herausforderndsten psychischen Diagnosen dar, die im Familienkontext auftreten kann. Dabei betrifft sie nicht nur die betroffenen Erwachsenen selbst, sondern hinterlässt tiefe Spuren im Leben ihrer Kinder, die oft als stille Beobachter und ungewollte Stützen agieren müssen.

Die Mechanik einer unsichtbaren Erkrankung

Prof. Dr. Eva Reininghaus

Bipolare Phasen lassen sich in depressive und manische Zustände unterteilen. In der Depression erleben die Betroffenen eine lähmende Schwäche, die sie oft tagelang ans Bett fesselt, während ihnen Energie und Lebensfreude vollkommen entschwinden. Auf der anderen Seite bringt die Manie einen gefährlichen Überschwang: Ein extrem aktives Verhalten, risikoreiche Entscheidungen und unberechenbare Handlungen prägen diese Phasen, die das Familiensystem an seine Grenzen bringen. „Gerade für Kinder und Jugendliche ist es sehr schwer vorherzusehen, wann welcher Zustand auftritt“, beschreibt Prof. Dr. Eva Reininghaus, Klinikvorständin an der Medizinischen Universität Graz und Leiterin der Klinischen Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Das Fehlen von Stabilität führt bei Kindern häufig zu Unsicherheiten, zumal sie die Stimmungsschwankungen der Eltern kaum einordnen können.

Parentifizierung und Schuldgefühle – der unsichtbare Rucksack

Eine der bitteren Konsequenzen dieser Störung ist die sogenannte Parentifizierung, bei der Kinder gezwungen sind, elterliche Rollen zu übernehmen. Sie organisieren den Alltag, kümmern sich um Mahlzeiten und versuchen oft, die Stimmung der Eltern positiv zu beeinflussen. Besonders in den depressiven Phasen erleben die Kinder sich häufig als Versager oder Schuldige, wenn sie trotz aller Bemühungen die Last der Eltern nicht lindern können. Diese schmerzliche Selbstwahrnehmung trägt eine zerstörerische Wirkung in sich, die sich tief in das Selbstwertgefühl der Heranwachsenden eingräbt. „In diesen Momenten entwickeln Kinder nicht selten das Gefühl, für den Zustand der Eltern verantwortlich zu sein“, erklärt Reininghaus und fordert eine gezielte Begleitung der betroffenen Familien.

Wege zu Resilienz und Verständnis

Gegen diese Belastungen, die oft ein Leben lang nachwirken, setzen Fachleute auf Aufklärung und Resilienzbildung. Kindern schon früh verständlich zu machen, dass die bipolare Störung eine Erkrankung ist, die nichts mit ihrem Verhalten zu tun hat, ist ein erster Schritt. Unterstützungsangebote wie Gespräche mit spezialisierten Psychologen und entsprechende Therapieformate fehlen jedoch nach wie vor in vielen Regionen. Für viele Familien bleibt die Last dieser Erkrankung isoliert, und die Kinder wachsen in einem Zwiespalt zwischen Belastung und Verständnis auf.

Das Thema nicht anzusprechen, bedeutet nicht, dass die Kinder nicht mitbekommen, was Sache ist. Kinder wissen ganz genau, dass da etwas nicht stimmt.

Prof. Dr. Eva Reininghaus

Die Erfahrungen von Prof. Dr. Eva Reininghaus mit betroffenen Familien verdeutlichen, wie wichtig es ist, das Thema Bipolarität offen anzusprechen und Missverständnisse abzubauen. Bipolarität ist keine emotionale Laune, sondern eine ernsthafte Erkrankung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen gleichermaßen herausfordert. Der Weg zu einer stabileren Zukunft beginnt mit einem klaren Verständnis und einem offenen Austausch – damit Kinder lernen, dass sie weder die Ursache noch die Lösung für die Stürme ihrer Eltern sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert